Concordia Seminary
St. Louis, Mo., 2-22-15. (Montag, der 22. Februar 1915)
Lieber Vater!
Schon lange war ich im Begriff, Dir eine Antwort auf Deinen Brief vom letzten Monat zukommen zu lassen. Leider zog sich das bisher immer in die Länge und wurde natürlich nichts. Man sagt ja gewöhnlich: „Was lange wächst wird gut.“ So weit her wird es mit dem „gut“ wohl nicht werden. Ich setze es daher ganz getrost in Gänsefüße. Denn etwaige epochenmachende Leistungen meinerseits habe ich nicht zu unterbreiten. Auch bin ich nicht über jemandes anderen Leistungen in Extase. Folglich wird mein Produkt keineswegs rhetorisch sein.
Doch zur Sache. Wie Dir meine Karte vorgeführt haben wird, habe ich mit dem letzten Brief auch das Geld ($ 25) erhalten. Dafür möchte ich mich in erster Linie erkenntlich zeigen. Unser Kostgeld kommt uns dieses Jahr wegen den unverschämt hohen Preisen etwas höher als letztes Jahr, nämlich $ 85. Du als Familienvater wirst wohl schon längst gemerkt haben, daß die Preise besonders an Lebensmitteln erheblich gestiegen sind - natürlich zum Schaden Deines Geldbeutels. Doch, es wird ja wohl gehen.
Dein Brief enthält auch viel Interessantes, sowohl aus Familie, als auch Gemeinde. Besonders interessant ist die Neuigkeit der Verlobung unserer Schwester Lydia. Nun ja, ich habe ihr schon immer einen guten Mann, Heim etc. gewünscht. Ihre Freude wird wohl groß sein. Denn das ist ja ein Wendepunkt in dem Leben eines Mädchens, dem es schon lange Jahre entgegengesehen hat.
Und wir alle freuen uns mit Ihr. Freilich wird Sie uns dadurch ein wenig entrückt, geht den Interessen nach, die Ihr neues Verhältnis Ihr gebieten. Bald wird sie in Person nicht mehr unter uns weilen, sondern versuchen, Ihren Mann sein Heim zu verschönern und das Leben so angenehm wie möglich zu machen, wie einst unsere Mutter Dir und später uns es getan hat. Wir sind daher nicht so egoistisch, Ihr dieses Ihr Glück nicht zu gönnen, auch wenn es nun heißt, ein Glied der Familie, einen dienstbaren Geist hergeben zu müssen. Zwar ist die erste, die älteste Tochter, die nun das elterliche Haus verläßt, um an ihren Manne zu hengen (hängen). Das macht es noch ein wenig schwer, sie ziehn zu lassen - aber dennoch freuen wir uns mit Ihr und wünschen Ihr Gottes reichen Segen in Ihrem Ehestande mit Arthur. Wenn es je eine Person gegeben hat, der ich guten Mann, schönes, trautes Heim etc. gewünscht habe, so ist es unser Lydia.
Daß es Mamma besonders ein wenig schwer wird, Lydia ziehen zu lassen liegt ja in der Natur der Sache und versteht sich ganz von selbst. Wir sehen sie deswegen auch keineswegs schel an, sondern helfen Ihr, soviel in unseren Kräften steht überwinden und die Lücken ausfüllen.
Die Schilderung der Gemeindeversammlung war nicht minder interessant. Wenn man sich die Sache konkret vorstellt, dann könnte man ja faßt den Eindruck gewinnen, als ob die wahre Hölle auf Erden sei. An ein etwaiges Millennium erinnert es keineswegs. Jedoch, ganz so schlimm, wie es aussieht, ist es wohl doch nicht, Väterchen. Verliere deshalb den Mut nur nicht gleich, Väterchen. Ich glaube nicht, daß es ganz so gefährlich ist, wie es den Anschein haben mag. Die guten Lynner (?) sind eben scheints ein wenig schwer von Begriff und deshalb auch 25 year behind time.
Dennoch glaube ich noch nicht, daß man deshalb annehmen muß, daß sie deshalb alle solche verbissenen Bulldoggen sind, die überhaupt nicht progressiv werden wollen, wenn ihnen die nötigen Anleitungen gegeben werden. Ich glaube nicht, daß sie gänzlich deinem Rat unzugänglich sein werden, sobald sie merken, daß Du ihr Bestes im Auge hast. Wenigstens würde ich es in Geduld abwarten, ob es wirklich an dem ist.
Stelle dir ihre Lage einmal konkret vor. Diese guten Leute haben das Glück scheints nicht gehabt, von einem solchen Manne gehandhabt zu werden, der der Aufgabe gewachsen war, sie aufzubauen und höher zu bringen. Drei Vorgänge besonders hat sie scheints so manschen u. machen lassen, wie es ihnen just gerade beliebte, weil das möglich war. Nun kommst Du an, progressiv etc. wie Du bist, und stößt dann gleich auf so alte Sünder, die da bisher verdeckt grassiert haben. Das gibt nun gleich ein „Hallo“, denn nun wachen die Leute einmal auf, werden ein wenig aufgerüttelt etc. .
Aber ich glaube gerade das ist ein gutes Zeichen, das Dich trotz allen Unannehmlichkeiten u. Beschwerden, die es Dich kostet, im letzten Ende doch fröhlich stimmen sollten. Denn nun ist Gelegenheit auf Fortschritt, wenn in den Leuten überzeugt noch eine Funke von Christenheil etc. ist. Alles was ihnen helfet ist nun die Erkenntnis, das Du alles dies zu ihrem Heil und zu ihrem Besten tust, daß Du sie wirklich heben willst. Sofern diese Erkenntnis nun an Dir liegt, solltest Du keine Mühe sparen, ihnen das klar zu machen, denn davon hängt Deine Zukunft ab. Ich denke immer noch, sobald diese Leute zu der Erkenntnis gekommen sind, dann wird das bessere Element wenigstens Hand in Hand mit Dir gehen u. arbeiten.
Ich entnehme das aus den Bemerkungen, die Du nach der Versammlung fürtest besonders in bezug auf die $ 4 pro Mann. Ich glaube die guten Leute, besonders die, die dann am meisten u. schwersten getroffen werden, haben das einfach nicht kappiert, was das heißen soll. Sonst hätten sie sich schon gemeldet.
Das geht auch daraus hervor, daß sich später einer meldete und v. dem gleichen Besten auflegen redete, Papstum etc. Ich glaube wenn Herr Kälke, u. mit ihm noch andre den Punkt erfaßt hätten, hätten sie schon gehandelt. So aber, wie die Sache jetzt stand, merkten sie alle, daß ein gewaltiger Unterschied zwischen Dir und Frick sei, Genir tönte los, daß Du altes machen wolltest, Schmidt hatte vorher schon gewählt u. von Ducken geredet; nun ließen die Menschen ihren Verstand nicht arbeiten, sondern waren von vorherein zugekorkt, wie eine Flasche u. Deiner Mentur nicht zugenglich (zugänglich), damit der neue Pastor ja nicht gleich von vorn herein “alles mache“ etc. So ähnlich stelle ich mir das vor.
Noch ein Punkt der gegen Dich war und die Leute gegen Dich stimmten war der Mißbrauch des „Zehnten“ in der Praxis Deiner Amtsbrüder in der Nachbarschaft. Freilich wird dieses Gesetz vom „Zehnten“, das die Juden hatten, von unsern Leuten schrecklich mißbraucht, daß sie sich deßwegen, weil er im N.T. (Neuen Testament) aufgehoben ist, darum drücken anstatt noch mehr zu tun, da sie an den Juden so besonders vergeudet sind. Aber dennoch ist das wiederum auch ein Mißbrauch v. Seiten der Pastoren, wenn sie ihren Leuten den „Zehnten“ aufdrängen, wovon sie doch frei sind.
Einen klugen Pastor wollten sie wohl schon gerne haben. Aber einen der zu klug ist, ja noch klüger wie alle in der Umgegend u. seine Klugheit auf diese Weise geltend macht u. so den Alten Adam durch seine Gottesgelehrtheit, Schriftkenntnis etc. geknechtet wird, das war ihnen doch wohl nicht ganz recht. In dem Stück war ihnen Dein Vorgänger wohl doch lieber.
Nun ja, wie dem auch sein mag, es war eben ein Punkt, bei dem Du Gottes Wort für Dich geltend machen konntest. Das ist, meine ich, wenn die Sache nachher in Ordnung kommt ein bedeutender Faktor.
Wenn Du gewinnst - u. das mußt Du, denn es handelt sich um Gottes Worte, dann werden die Leute merken, daß man mit Dir nicht, wie mit einem Spielball umgehen kann, u. in Zukunft wirst Du leichter durchdringen Können.
Also verzage nicht und lasse den Mut nicht gleich sinken. Vertrau auf Gott, der wird Dir schon helfen. Du darfst immer noch hoffen bis das Schlimmste eintrifft - u. dann, wenn es wirklich eintreffen sollte, dann traue Ihm, der das alles schickt und leitet.
Vorläufig aber habe ich noch gute Hoffnung, daß mit der Zeit noch alles ganz gut werden wird. Freilich, mit einem Male nicht, das nimmt Zeit. Es muß ihnen Tropfenweise eingegeben werden. Ich weiß, das ist für Dich eine starke Geduldsprobe, aber Gott wird Dich stärken und Dir Recht geben, es zu tragen und geduldig zu bleiben u. Deines Amtes zu werten.
Auch hast Du gerade in dieser Sache ein besonderes Gotteswort für Dich. Gerade Deine jetzige Handlungsweise verspricht Dir einst einen überaus herrlichen Lohn, wie Korinther 3, 12-15 ausgeführt ist. Da wird ausgeführt daß das Material, das auf den dogmatischen Grund gelegt wird von verschiedener Qualität sein kann: Gold etc. aber auch Heu und Stroh. Der Apostel redet hier von solchen christl. Lehrern, die da bauen auf den Grund der da bereits gelegt ist, wie auch in diesem Fall. Der Grund ist bereits gelegt worden, Du braust jetzt weiter. (Im 10. Verse führt der Apostel diesen Unterschied aus zwischen Gründen u. weiterbauen). Und doch ist gerade dieses weiterbauen so überaus wichtig. Unter dem Heu und Stoppeln ist nun nichts anders zu verstehen als die wiederwärtigen Lehren, nicht falsche Lehren. Alle Werke werden aber an jenem Tag offenbar gemacht. Diese Stelle weiset in anderen Worten darauf hin, daß es keine Kleinigkeit ist, auch in nicht fundamentalen Dingen seine eigene Meinung vorzutragen u. es damit auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn wer es tut, dem wird v. seinem Lehrerlohn gestrichen. Es ist Gott damit nicht einerlei. Zwar sagt diese Stelle, daß er selbst selig werden wird, wenn er an X. (Christus) glaubt und X. lehrt, wenn er den Grund nicht umstöset. Aber da steht auch noch ein zusatzl: „so doch, rein durchs Feuer“, d.h. rein mit knapper Not, rein ein Wunder, durch besondere Gnade. Seine Lehre verbrannt, aber weil er sich an X. hält, so wird er doch noch selig.
Wende nun diese Stelle auf Dich selbst an. Du hattest Gelegenheit, es hiermit auf die leichte Schulter zu nehmen, denn es ist denn es ist keine Fundmentalelehre. Dadurch hättest Du die Wirbel sparen können. Aber Du hast den schwereren Weg gewählt. Du bist auch im kleinen treu gewesen. Darum wird Dein Lehrerlohn auch nicht groß sein. Ist Dir das nicht ein großer, starker Trost?
Doch ich habe letztesmal schon auf diese Stelle gewiesen, ich brauche daher jetzt nicht viele Worte darüber verlieren. Auch kennst und verstehst Du diese Stelle besser wie ich. Ich erwähne die Stelle auch nicht, um Dir meine etwaige exegetische Fähigkeit etc. zu zeigen oder um mich in irgend einer Hinsicht als Dein Lehrer etc. aufzuspielen. Nein, das ist nicht meine Absicht. Aber ich weiß, daß man, wenn man verzagt u. mißmutig ist, leicht solche Stellen in seiner Verzagtheit vergißt oder außer acht läßt. Darum wollte ich Dich neu daran erinnern, daß Du nicht vergißt aus solchen Stellender Schrift, Dir Trost u. Stärkung zu holen und sie nicht in der Hitze der Drangsal übersiehst.
Doch nun hätte ich wohl bereits genug gekohlt (übertrieben erzählt) für dieses Mal.
Hier ist sonst alles beim alten. Habe letzten u. vorletzten Freitag Solennits (?) neue Pfeifenorgel im Gottesdienst gespielt. Er läßt noch ganz herzlich grüßen.
Einen Gruß an die Geschwister von mir, besonders an Dich und Mamma.
P.S. Sende mir, bitte, die Reformationsgeschichte v. Fick, das kleine Büchlein, oder soll ich es mir mir selber zulegen?
Dein Alfred