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Händelrenaissance: eine Studie
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Was Comenius schrieb, ließ all das kleinliche Gezänk der konfessionellen Gruppierungen in Deutschland , das nach wie vor auch in Halle Nahrung fand , weit hinter sich zurück . Der Humanismus des Jan Amos Komenský richtete sich auf die Erziehung des Volkes zum praktischen Leben, auf die irdische Gluckseligkeit, auf den Frieden der Welt. Sein Erfahrungskreis und sein Wirkungsradius von Böhmen bis zu den Niederlanden und England lockerte auch in Halle den Boden für die Frühaufklärung. Nicht zuletzt war es sein berühmtes Liederbuch , das gleich vielen anderen Liedersammlungen der böhmischen Exulanten die Aufforderung bedeutete, tätig zu sein für eine Erneuerung des Lebens. Wie all seine Schriften, so diente auch das Gesangbuch des Comenius mehr der Förderung des bürgerlichen Nationalbewußtseins als irgendeinem religiösen Dogma . Noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein wird der Begriff von der „reinen Lehre“ im Bewußtsein anti-orthodoxer Protestanten mit Hus und der hussitischen Tradition in Verbindung gebracht . Der den Pietisten nahestehende Wolfenbütteler Pastor und Dichter Bokemeyer veröffentlichte 1723 in Weichmanns „Poesie der Nieder - Sachsen“ ein Sinngedicht:
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Über Joh. Hussens Tod
Des Papstes Urtheil läßt, als Ketzer, mich verdammen, Und übergiebt den Leib des Feuers strengen Flammen; Doch dämpfet er damit die reine Lehre nicht: Durch diese Flamm' entsteht ihr größ'rer Glanz und Licht. Das Wortspiel, wonach größerer Glanz und Licht aus der Ketzerflamme entsteht, deutet auf jene dialektischen Berührungsmomente zwischen Frühpietisten und Frühaufklärung hin, die einer Verbindung von Sensualismus und Rationalismus nahekommen. Größerer Glanz und Licht ist das Licht der Vernunft das aus der „reinen Lehre“ mit ihren Elementen der Naturreligion entspringt. Der Geditchtband ist Barthold Heinrich Brockes gewidmet, in dessen eigener Dichtung wir gleichfalls die Vereinigung von Sensualismus und Rationalismus finden, und Brockes war wie Händel in seiner Jugend Student der Rechtwissenschaft an der hallischen Universität. Halle war in Händels entscheidenden Jugendjahren von der Tradition der böhmischen Exulanten erfüllt, die nicht zuletzt im eigenen Familienkreis voller Stolz hochgehalten wurde. Es war dies aber eine Tradition streitbarer Bewährung durch die Tat, hervorgewachsen aus frühbürgerlichem Aufbegehren gegen die Feudalgewalten. Fragen wir nach den historisch-gesellschaftlichen Wurzeln der Kraft Georg Friedrich Händels, so ist unverkennbar, dab sie auch in dieser Tradition ihren Boden hatten. Das Element der Tatkraft und Bewährung im praktischen Leben kam Händel auch aus der väterlichen Familientradition zu. Kupferschmiede seit Generationen, halten die Handwerksmeister namens Händel, Handel oder Hendel lange an den Gebräuchen ihres Herkommens fest, und es hat den Anschein, daß sie auch an der Beschaffung des Rohmaterials für ihr Handwerk, also als „Händler“, beteiligt waren. So gelangt Valentin Händel, der aus Breslau nach Halle zugewandert war und sich dort in der seinem Beruf vorbehaltenen Gasse „Kleinschmieden“ niederließ, gewissermaßen auf einem klassischen Handelsweg in die Saalestadt, und zwar über das Zentrum des mansfeldischen Kupferschieferbergbaus Eisleben. Dort macht er von Berufs wegen die Bekanntschaft des wohlhabenden Kupferschmiedemeisters
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Sameul Beychling, dessen Tochter Anna er heiratet. Samuel Beychling seinerseits hatte sich die erste Frau, Margreta Hönin, aus der Handrlsstadt Leipzig geholt, wo die beiden im Oktober 1582 "copulirt" wurden. Damals wohnte er noch nicht im Stadtkern Eislebens, sondern als Kupferschmied im dem Vorort, der Nauendorff oder auch Neuendorff genannt wurde. Nach Margretas Tod heiratet Beychling ein zweites Mal, und zwar Barbara Ziehbogen. Anna Beychling, am 11. September 1856 getauft, ist ihre alteste Tochter. Zwei Bruder und drei Schwestern Annas werden im Taufregister genannt: 1589 Samuel, 1596 , 1595 Barbara, 1599 Veronica, 1602 Margareta. Händels mansfeldischer Urgroßvater wird zur Zeit des groben Eislebener Stadtbrandes 1601/2 fünfmal in der „Chronicon Islebiense“ erwähnt. Er betätigt sich 1602 als "Viermann", das heißt als einer der Viertelsmeister, die mit der Verteilung von Geld, Mehl, Heu, Tuch, Schuhen und Leinen an die geschadigte Bevolkerung betraut sind. Er selbst verlor durch den Brand ein Haus mit Braugerechtigkeit, wofür er 33 fl. erhielt sowie eine zusätzliche Summe für ihm gehörendes Getreide, das in der abgebrannten Scheune eines Nachbarn gelagert hatte. Seine Wohlhabenheit litt offensichtlich nicht darunter. Auch zog Samuel Beychling sicherlich für die eigene Schmiedewerkstatt und die seiner Hallenser Verwandtschaft Gewinn daraus daß er das Kupfer direkt an der „Quelle“ kaufen konnte, zahlten doch zu den Paten seiner Kinder mehrere „Bergkverwalter“ woraus sich auch nach dieser Seite hin auf ein Freundschafts- oder sogar Verwandtschaftsverhältnis schließen läßt. Solche Bergverwalter gingen mit in den Schacht und arbeiteten damals noch zusammen mit den Bergknappen bei der Kupfergewinnung. Ob Samuel Beychling direkt mit Mansfelder Bergknappen verschwägert war oder von ihnen abstammte läßt sich genau nicht nachweisen. Ein Hinweis hierfür könnte die Eintragung vom 2. Oktober 1582 im Eislebener Kirchenbuch sein wonach „der erbare Samuel Beichling Kupfferschmidt in nauendorff“ war, wo zahlreiche Bergknappen ansässig waren; gibt es doch heute noch in Eisleben Bergarbeiterfamilien, die den Namen Beyling tragen. Newman Flower äußert in seiner Händelbiographie die Ansicht, Valentin selber habe im Mansfelder Kupferschieferbergbau
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gearbeitet. In jedem Fall erhöhte die Eislebener familiäre und geschäftliche Verbindung in Halle Einfluß und Ansehen Valentin Händels. Die Verbindung zum Zentrum der Kupfergewinnung erleichterte ihm ohne Zweifel das Seßhaftwerden in Halle. Die große Achtung, die Anna Beychling auch nach seinem Tode weithin in Halle genoß, darf sicher auf diese mansfeldische Herkunft zurückgeführt werden. Auch die Söhne erlernten das väterliche Handwerk, wobei es der älteste zum Schmiedeobermeister in Halle brachte. Nur der dritte, 1622 geborene Sohn Georg macht eine Ausnahme. Nicht allein, weil er einen eigenwilligen Kopf hat, sondern weil der Dreißigjährige Krieg die althergebrachte Ordnung zerstört. 1636, in Valentin Händels Todesjahr, verwüsten kaiserliche Truppen die Umgebung von Halle – darunter die Kirche in Dieskau, wo Händels Großvater mütterlicherseits, Georg Taust, als Pfarrer seinen Wohnsitz hatte. Natürlich reizen Wallensteins und der anderen Feldherren Lager die Fünfzehnjährigen, sich unter die Soldaten zu begeben, und vom „Glaubenskrieg“ bleibt da für die Beteiligten wie für die Opfer nicht viel übrig. Georg Händel hat den Besuch der Lateinschule vorzeitig aufgegeben; er wird Baderlehrling und tritt als Feldscher abwechselnd in Kriegsdienst auf der einen wie auf der anderen Seite: erst beim kursächsischen Heer, dann bei den Schweden
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